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Klinischer Fall: Vitamin E/ Selen-Mangel als Ursache plötzlicher Todesfälle bei Jungsauen

Bei der äußeren Besichtigung konnte an beiden Tierkörpern ein guter Ernährungszustand und eine Zyanose im Bereich von Unterhals und ventralem Abdomen festgestellt werden.

Vorbericht

Im Mai 2014 wurden zwei von drei Jungsauen, die in der Nacht zuvor plötzlich verendet waren, zur pathologischen Untersuchung an die Außenstelle für Epidemiologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover gebracht. Die Tiere gehörten zu einer Gruppe von 25 Jungsauen dänischer Genetik, die ein Alter von circa 180 Tagen hatten. Die Jungsauen wurden in Dänemark geboren, in einem Betrieb in Schleswig-Holstein aufgezogen und sind vor einer Woche  an den Ferkelerzeuger ausgeliefert worden. Bei einer klinischen Untersuchung bei Anlieferung konnte die bestandsbetreuende Tierärztin keine auffälligen Symptome feststellen.

 

Patho-morphologische Untersuchung

Bei der äußeren Besichtigung konnte an beiden Tierkörpern ein guter Ernährungszustand und eine Zyanose im Bereich von Unterhals und ventralem Abdomen festgestellt werden. Der M. longissimus dorsi und der M. semimembranosus wiesen Areale mit einer Aufhellung des Gewebes auf. Die Muskelfasern waren in diesen Bereichen weniger elastisch und zerreißbar, ihre Konsistenz wirkte „wie gekocht“. Auch bei der makroskopischen Betrachtung des Myokards waren deutlich aufgehellte Bereiche sowie multifokale, subepikardiale, petechiale Blutungen erkennbar. 

Bei einer der beiden Jungsauen wurde zudem eine geringgradige, fokale, fibröse Pleuritis festgestellt. Das Lungengewebe dieses Tieres wies in beiden Hauptlappen je einen fokalen, deutlich abgekapselten Sequester auf, dessen Inhalt aus einer hellbraunen, zähflüssigen Masse bestand.

Der Magen beider Tiere war mit Futter gefüllt. Bauchhöhle, Darm, Leber, Milz, Niere, Harnblase, Gehirn, Gelenke und Knochen wiesen keine pathomorphologischen  Veränderungen auf.

Deutliche Aufhellung des M. semimembranosus

Abbildung 1: Deutliche Aufhellung des M. semimembranosus

Fokale, aufgehellte Bereiche im Myokard

Abbildung 2: Fokale, aufgehellte Bereiche im Myokard

 

Probenentnahme

Die pathomorphologischen Befunde, insbesondere die Veränderungen der Skelettmuskulatur lenkten den Verdacht auf eine nutritiv bedingte degenerative Myopathie, die durch einen Vitamin E/ Selen-Mangel verursacht wird. Aus diesem Grund wurden Muskelproben aus dem M. longissimus dorsi, dem M. semimembranosus und dem Myokard in Formalin fixiert und zur histopathologischen Untersuchung an ein Labor versandt. Die beiden Sequester in den Hauptlappen der Lunge bei einer der beiden Jungsauen deuteten auf eine chronische Infektion mit Actinobacillus pleuropneumoniae hin, die aber – aufgrund der ausgeprägten Kapselbildung – als Todesursache  auszuschließen war. Aus der Lunge wurde verändertes und unverändertes Gewebe sowie ein Abstrich des Bronchialepithels für die bakteriologische Untersuchung entnommen.

 

Empfehlungen für die bestandsbetreuende Tierärztin

Aufgrund der makroskopischen Befunde wurde der bestandsbetreuenden Tierärztin empfohlen, den verbliebenen Jungsauen schnellstmöglich eine Vitamin E/ Selen-Injektion zu verabreichen.

 

Laborergebnisse

Bei der histopathologischen Untersuchung der formalin-fixierten Proben der Skelettmuskulatur und des Myokards wurden keine Veränderungen festgestellt, die den Verdacht auf Vitamin E/ Selenmangel bestätigt hätten.

A. pleuropneumoniae wurde sowohl im Abstrich aus den Sequestern als auch im  Bronchialabstrich kulturell nachgewiesen. Aus dem Abstrich des unveränderten Lungengewebes konnten keine pathogenen Bakterien isoliert werden.

 

Interpretation der Ergebnisse

In einem weiteren Gespräch berichtete die bestandsbetreuende Tierärztin, dass nach der Behandlung mit einer Vitamin E/ Selen-Injektion keine weiteren Jungsauen verendet seien. Aufgrund dieser Tatsache sowie der deutlichen makroskopischen Befunde, die typisch für eine degenerative Myopathie waren, blieb der Verdacht auf Vitamin E/ Selen-Mangel bestehen. Die formalin-fixierten Proben der Skelettmuskulatur und des Herzmuskels wurden für eine zweite histopathologische Untersuchung an das Institut für Pathologie und gerichtliche Veterinärmedizin in Wien geschickt.

 

Abschließende Diagnose

Bei der histopathologischen  Untersuchung durch einen Pathologen des Instituts für Pathologie und gerichtliche Veterinärmedizin in Wien wurden einzelne Muskelfasern mit verschieden Stadien einer Muskelfaserdegeneration festgestellt. Einige Muskelfasern erschienen verquollen und wiesen einen Verlust der Querstreifung auf, während an anderen Lokalisationen Anzeichen einer akuten Muskelfasernekrose zu sehen waren. Die histopathologischen Befunde des Myokards waren typisch für ein akutes Herzversagen.

Diese Ergebnisse der histopathologischen Untersuchung konnten somit den Verdacht,  der sich aus den Befunden der makroskopischen Beurteilung – blasses, unelastisches Muskelgewebe, Konsistenz „wie gekocht“ –  ergeben hatte, bestätigen.

Verschiedene Stadien der Muskelfaserdegenration/ Nekrose

Abbildung  3: Verschiedene Stadien der Muskelfaserdegenration/ Nekrose (von geringgradiger Schwellung mit Verlust der Querstreifung bis zur vollständigen Desintegration und beginnender Resorption). Balken = 80 µm

 

Take-home message

  • Obwohl Futtermittel üblicherweise mit Vitamin E/ Selen substituiert sind, bleibt der Vitamin E/Selen-Mangel eine mögliche Ursache für plötzliche Todesfälle bei Jungsauen. Die Bedeutung des  Vitamin E/Selen-Mangels in Regionen, die nicht bereits für niedrige Selengehalte im Boden und in den darauf angebauten Pflanzen bekannt sind (z. B. Skandinavien) sollte weiter untersucht werden. Darüber hinaus ist aber auch die Zerstörung von Vitamin E durch Oxidation bei längerer Futterlagerung unter schlechten Bedingungen als Ursache in Erwägung zu ziehen.
  • Der Fall zeigt deutlich, dass ein Verdacht, basierend auf klinischen und pathomorphologischen Befunden, nicht unbedingt zu verwerfen ist, wenn die weiterführenden Untersuchungen nicht zu einer Bestätigung führen.  Fehler können an jedem Punkt in der Diagnostik gemacht werden, so dass im Zweifelsfall alle Teilergebnisse einer kritischen Prüfung zu unterziehen sind.

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