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Klinischer Fall: Lahmheiten bei Jungsauen

Nach zwei Wochen in der Quarantäne zeigten die Jungsauen schmerzhafte Lahmheiten. Nur eine hochdosierte Behandlung (10 mg/kg) mit Makroliden und Spectinomycinen führte zu einer Besserung.

Einleitung

Ende Sommer/Anfang Herbst 2014 erreichten uns Berichte über mehrere Fälle von Fundamentsproblemen und Beinschwäche bei Remontierungssauen. Das Problem betraf verschiedene Bestände in Belgien mit gleichem Krankheitsverlauf: Zugekaufte Jungsauen waren bei Ankunft klinisch unauffällig, zeigten allerdings nach zwei Wochen in der Quarantäne Bewegungsstörungen und Gangauffälligkeiten. Eine Behandlung mit Amoxicillin brachte nichts, nur eine hochdosierte Behandlung (10 mg/kg) mit Makroliden und Spectinomycinen führte zu einer Besserung.

 

Bestandsübersicht

Drei geschlossene Systeme mit etwa 300 Sauen im Drei-Wochen-Rhythmus waren betroffen. Im Folgenden sind die Bestände näher beschrieben:

Bestand 1:

120 dänische Jungsauen wurden von einem belgischen Aufzuchtbetrieb gekauft. Die Ferkel wurden mit etwa 20 kg aus Dänemark geliefert und in die Quarantäneabteile im Aufzuchtbetrieb eingestallt. Mit 180-240 Lebenstagen wurden sie zum Sauenbestand transportiert. Bei Ankunft erhielten die Jungsauen eine Injektion mit Tulathromycin. Sie wurden ad libitum mit einem Aufzuchtfutter gefüttert und hatten uneingeschränkt Zugang zu Trinkwasser. Die Körperkondition wurde als gut beurteilt.    

Zwischen acht und zehn Tage nach Ankunft fing etwa die Hälfte der Sauen plötzlich an zu lahmen. Es waren dabei nur die Hintergliedmaßen betroffen und die Gelenke leicht geschwollen. Der ganze Vorgang schien sehr schmerzhaft zu sein und die Jungsauen zeigten deutliche Gangstörungen.

Bestand 2:

Die Jungsauen wurden von verschiedenen Zuchtbeständen in Dänemark bezogen und direkt zum Sauenbestand transportiert. Sie wurden 15 Wochen in der Quarantäne gehalten. Bei der ersten Belegung waren die Sauen etwa 9 Monate alt. Die Tiere wurden zweimal am Tag mit einem Aufzuchtfutter gefüttert und hatten uneingeschränkt Zugang zu Trinkwasser. Als Ergänzung erhielten die Jungsauen 50 g Monokalziumphosphat pro Woche bis zum Abferkeltermin.

Bei über 80% der Jungsauen konnten Schwellungen der Gelenke und unterschiedliche Lahmheitsgrade beobachtet: von einfacher Gliedmaßenentlastung bis zur "hundesitzartigen" Stellung.

Bestand 3:

Die Jungsauen wurden vom selben Aufzuchtbetrieb bezogen wie bei Bestand 1. Sie erhielten ein Laktationsfutter ad libitum und hatten ebenfalls uneingeschränkt Zugang zu Trinkwasser. In diesem Bestand zeigten neben den Jungsauen auch die Mastschweine Bewegungsstörungen in Form von Lahmheiten.

Hinterbein einer Jungsau

Untersuchungen

Mögliche Gründe für das "Beinschwächesyndrom" (leg weakness) bei Jungsauen:

1. Mineralstoffimbalancen.

  • Mangel an Kalzium (Ca) und Phosphor (P) im Aufzuchtfutter. Wenn in Dänemark höhere Konzentrationen als in Belgien zugesetzt wurden, könnten die Jungsauen einen plötzlichen Mineralstoffmangel erlitten haben, was zu Stellungsanomalien der Hintergliedmaßen und Lahmheiten führten könnte.   
  • Das Futter der verschiedenen Bestände kam von unterschiedlichen Futtermühlen bzw. Futtermittellieferanten.
  • Leider war eine Untersuchung des Futters aus dem Zuchtbestand in Dänemark nicht möglich.
  • Das Futter, mit dem die Jungsauen während der Quarantäne gefüttert wurden, wurde dagegen untersucht (Tabelle 1).

► Es wurden keine abweichenden oder zu niedrigen Werte nachgewiesen.

Tabelle 1: Untersuchungsergebnisse zur Mineralstoffversorgung im Futter von drei unterschiedlichen Beständen.

  ppm Ca ppm Cu ppm Fe ppm K ppm Mg ppm Mn ppm Na ppm P ppm Zn
Aufzuchtfutter Bestand 1 9200 27,7 350 6610 2090 82,7 4370 4500 130
Aufzuchtfutter Bestand 2 9760 12,2 411 6810 2180 75,6 1970 5970 136
Laktationsfutter Bestand 3 8050 12,8 306 7010 1930 88,4 1720 5110 82,8

 

  • Zusätzlich wurde das Trinkwasser in Bestand 2 untersucht (Tabelle 2).

► Der Gehalt an sulfitreduzierenden Clostridien und Enterokokken war zu hoch. Deshalb wurde eine Reinigung und Deinfektion der Wasserleitungen empfohlen.

 

Tabelle 2: Untersuchungsergebnisse des Trinkwassers in der Quarantäne im Bestand 2.

  Coliforme Keime  Sulfit-reduzierende Clostridien  Enterokokken Gesamt-keimgehalt aerob (22°C) Gesamt-keimgehalt aerob (37°C) Ammoniak Nitrat Nitrit Sulfat Salz pH
Ergebnis 9 15 19 3800 2200 0,54 <200 0,18 76,8 205,6 7,9
Standard <100 <1 <1 <100000 <100000 <20 <200 <0,5 <250 <3000 4-9
Einheit Cfu/ml Cfu/20ml Cfu/100ml Cfu/ml Cfu/ml Mg/l Mg/l Mg/l Mg/l Mg/l  

 

 

 

2. Serologische Untersuchungen der Jungsauen zum Gehalt von Ca und P (Tabelle 3).

  • Die Untersuchungsergebnisse lieferten normale serologische Ca-Konzentrationen bei den betroffenen Jungsauen. Allerdings waren die Phosphorgehalte in allen Bestände (vor allem 1 und 3) zu hoch. Das Ca/P-Verhältnis lag bei >4. Der Grund für die gefundenen Unterschiede ist unklar. Die Jungsauen erhielten Monokalziumphosphat, welches als Hauptquelle für P dient. Es könnte sein, dass bei den Jungsauen direkt nach der Futteraufnahme Blut gezogen wurde, wodurch es zu diesen hohen P-Gehalten im Blut gekommen ist. Ein weiterer möglicher Grund für das abnormale Verhältnis wäre ein Trinkwassermangel. Allerdings hatten die Jungsauen uneingeschränkten Zugang zu Trinkwasser. Auch die Durchflussrate der Tränkenippel war ausreichend, sodass dieser Grund wahrscheinlich ausgeschlossen werden kann.     
  • Die Gehalte an Osteocalcin waren in der ersten Gruppe aus Bestand 1 zu gering und niedrig im Bestand 3. Werte unter 15 µg/l gelten als hinweisend für eine schlechte Knochenbildung. Das hat mehrere Gründe: Hormonänderungen (Östrogen reduziert den Knochenaufbau), zu viel Leptin (reduziert die Knochenbildung) oder Mangel an Ca, P, Mg und/oder Vitamin D.

Zusätzlich waren die Werte für den Knochenmarker CTx in allen Beständen zu gering. Aufgrund der ergänzenden Fütterung von Ca und P ist es allerdings nicht verwunderlich, dass CTx reduziert ist.

 

Tabelle 3: Serologische Untersuchungsergebnisse der Jungsauen aus drei verschiedenen Beständen.

Bestand 1 Ca (mmol/l) P (mmol/l) Osteocalcin (µg/l) CTx (µg/l)
Jungsau 1 2,21 8,93 6,70 0,10
Jungsau 2 2,74 8,60 6,70 0,10
Jungsau 3 2,67 9,22 6,70 0,10
Jungsau 4 2,65 8,98 6,70 0,10
Jungsau 5 2,79 7,42 6,70 0,10
Jungsau 6 2,13 8,11 11,90 0,10
Jungsau 7 2,75 9,98 11,90 0,10
Jungsau 8 2,86 8,92 11,90 0,10
Jungsau 9 2,64 9,51 11,90 0,10
Jungsau 10 2,75 9,84 11,90 0,10
Bestand 2        
Jungsau 1 2,77 4,18 19,7 0,10
Jungsau 2 2,88 3,90 19,7 0,10
Jungsau 3 2,65 3,45 19,7 0,10
Jungsau 4 2,63 3,82 19,7 0,10
Jungsau 5 2,79 5,35 19,7 0,10
Bestand 3        
Jungsau 1 2,24 10,41 11,90 0,10
Jungsau 2 2,54 10,88 11,90 0,10
Jungsau 3 1,59 10,55 11,90 0,10
Jungsau 4 2,50 11,90 11,90 0,10
Jungsau 5 2,60 10,32 10,60 0,10
Jungsau 6 2,30 11,03 10,60 0,10
Jungsau 7 2,62 10,65 10,60 0,10
Jungsau 8 2,56 10,23 10,60 0,10

 

Standardwerte:

  • Ca: zwischen 1,62 und 2,85 mmol/l
  • P: zwischen 1,16 und 2,97 mmol/l
  • Osteocalcin: zwischen 11 und 22 µg/l
  • CTx: zwischen 0,15 und 0,75 µg/l

Hinterbein einer Jungsau

3. Sektion betroffener Jungsauen.

Obwohl die Symptome bei den Jungsauen nach einiger Zeit auch wieder verschwanden, entschieden wir uns zwei Jungsauen für eine Sektion zu euthanasieren. Beide wogen etwa 100 kg. Die folgenden Beobachtungen wurden dabei gemacht:

  • Keine Veränderungen in Lunge, Herz, Leber, Niere und Darm.
  • Bei beiden Jungsauen waren die Tuber ischiadica normal - geringgradige Knorpelveränderungen konnten an den Femurköpfen beobachtet werden.
  • Kniegelenke waren bei beiden mit einer hämorrhagischen Flüssigkeit gefüllt - geringgradige Knorpelveränderungen waren auf den Condylen sichtbar.
  • Karpalgelenke waren bei beiden normal. 
  • Die Wirbelsäule erschien äußerlich in beiden Fällen ohne Veränderung.
  • Bei einer Jungsau konnten Knorpelveränderungen am Atlas beobachtet werden.
  • Histologische Untersuchung:
    • Synovialgewebe: 1x ohne Veränderung, 1x deutliche Hyperplasie und Hypertrophie der Synovialzotten. Infiltration von Plasmazellen, Makrophagen und Rundzellen mit tendenzieller Follikelbildung. Perivaskuläre Infiltration von Rundzellen: Bild einer subakuten, infektiösen Arthritis (E. rhusiopathiae? M. hyosynoviae?).
  • Bakteriologische Untersuchung:
    • Staphylococcus sp. wurde kulturell aus den Tupfern der Kniegelenke isoliert.
    • PCR M. hyorhinis: negativ für beide Jungsauen
    • PCR H. parasuis: negativ für beide Jungsauen
    • PCR M. hyosynoviae: 1x positiv, 1x negativ

 

Differentialdiagnosen

  • Trauma
  • OCD, Beinschwächesyndrom, …
  • Mangel an Ca, der zu kleinen, aber schmerzhaften Knochen- und Knorpelveränderungen führen kann. Die Abweichungen im Serum resultieren eher in Abweichungen der Phosphorgehalte als der von Ca, wahrscheinlich durch die Gabe von Monokalziumphosphat.  
  • Bakterielle Infektion; Glässersche Krankheit, Rotlauf, M. hyorhinis oder M. hyosynoviae. Eine Infektion mit M. hyosynoviae erscheint am wahrscheinlichsten aufgrund des positiven PCR-Ergebnisses, der histologischen Veränderungen und der Verbesserung der klinischen Symptome nach Antibiotikagabe.

 

Diagnose

Mykoplasmen-Arthritis führt in den meisten Beständen zu keinen gravierenden klinischen Problemen. Allerdings kann eine Infektion mit M. hyosynoviae in einigen Beständen zu einem wiederkehrenden Problem vor allem in der Jungsaueneingliederung werden.

Sauen können auf ihren Tonsillen und im Pharynx Träger dieses Erregers sein und ihn intermittierend ausscheiden. Dadurch können sie das Bakterium auf ihre Ferkel übertragen. Zusätzlich übertragen die Sauen aber auch maternale Antikörper gegen eine Mycoplasma Infektion an ihre Nachkommen. Diese Antikörper schützen die Ferkel für bis zu zwölf Wochen. Obwohl die Ferkel keine klinischen Symptome ausbilden, ist eine Kolonisation mit diesem Erreger während der Aufzucht möglich.

Stress kann dazu führen, dass M. hyosynoviae von den Tonsillen in das Blutsystem übergeht. Von da aus gelangt der Erreger zu seiner Prädilektionsstelle: Gelenke. Jungsauen, die vom Zucht- oder Aufzuchtbestand angeliefert werden, sind Stress in Form von Transport, neuer Umgebung und neuen Buchtengenossen ausgesetzt. Die Entwicklung einer klinischen Arthritis dauert etwa ein bis zwei Wochen. M. hyosynoviae befällt die Synovialmembran der Gelenke und führt zu einer Entzündung, was wiederum in Schmerzen, Lahmheit und Schwellung der Gelenke resultiert.

 

Behandlung

Nur eine hochdosierte Behandlung (10 mg/kg) mit Makroliden und Spectinomycinen führte zu einer Besserung der Symptome in den betroffenen Beständen.

Daher wurde eine zehntägige Behandlung ab Ankunft der Jungsauen mit Lincomycin empfohlen. Um wirksam zu sein, müssen die Antibiotika in der Gelenksflüssigkeit in ausreichender Konzentration anfluten. Zusätzlich wurde eine Injektion mit Vitamin A, D3 und E empfohlen. Vitamin D ist wichtig für die Aufnahme von Ca aus dem Darm. Lahmende Jungsauen sollten außerdem mit NSAIDs behandelt werden.

Neben der Ergänzung von Monokalziumphosphat wurde auch noch eine Supplementierung von Kalk eingeführt, um nicht nur die Konzentration von P zu erhöhen, sondern auch die von Ca.

Als Vorbeugemaßnahme sollte auf jeden Fall Stress vermieden werden. Dazu sollten die Besatzdichte und die Haltungsbedingungen (Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftqualität, Lüftung, ...) kritisch hinterfragt werden und eine ad libitum Fütterung (anstelle einer zweimaligen Fütterung während der Quarantäne) eingeführt werden. Natürlich sollten auch mögliche Gelenksverletzungen durch die Fütterungsautomaten vermieden werden. Mineralstoffimbalancen und virale Infektionen, z.B. mit PCV2 und PRRSV, sollten auf jeden Fall vermieden bzw. kontrolliert werden. 

 

Schlussfolgerung

Im vorliegenden Fall geht es um Infektionen mit M. hyosynoviae.

Es scheint, als wären die Sauen in den Zuchtbeständen Träger von M. hyosynoviae und hätten dadurch den Erreger auf ihre Nachkommen übertragen. Die Jungsauen, die mit M. hyosynoviae infiziert waren und das Bakterium auf ihren Tonsillen hatten, waren während des Transports zu den Sauenbeständen Stress ausgesetzt. Dadurch konnte der Erreger in die Blutbahn übertreten, sich bis in die Gelenke ausbreiten, eine leichte Arthritis und Schwellung der Gelenke auslösen und folglich aufgrund der Schmerzentwicklung eine Lahmheit bei den Jungsauen etwa eine bis zwei Wochen nach Ankunft auslösen. 

Eine hochdosierte antibiotische Behandlung (Makrolide und Spetinomycine, 10mg/kg) und Verabreichung von NSAIDs löste das Problem.

Für die Zukunft wurde eine Behandlung mit Antibiotika und Vitaminen ab Ankunft metaphylaktisch empfohlen. Des Weiteren sollten Stress und Mineralstoffimbalancen vermieden werden.

Zunächst schienen nur Jungsauen aus Reinzuchtlinien betroffen zu sein. Allerdings zeigten später auch Hybridsauen die Symptome. Zu diesem Zeitpunkt beobachteten wir Fälle von M. hyosynoviae Arthritis bei einem Sauenbestand, der keine Jungsauen von extern bezog, sondern eine Eigenremontierung durchführte. Hier versuchten wir das Bakterium aus den Gelenken zu isolieren, um einen autogenen Impfstoff herstellen zu lassen. Leider können wir zu diesem Zeitpunkt noch keine Ergebnisse dazu präsentieren.

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