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Klinischer Fall: Anormale Lahmheit bei Saugferkeln

Im März 2021 gab es eine hohe Inzidenz schwerer Lahmheit bei 12 bis 17 Tage alten Ferkeln, also bei etwa 20 % der Ferkel.

Beschreibung des Betriebs

Bei dem Betrieb handelt es sich um einen konventionellen Betrieb mit externer Jungsauenproduktion im Piemont, Italien, in einem Gebiet mit hoher Schweinedichte. Der nächstgelegene Betrieb ist etwa 500 Meter entfernt.

Der Betrieb besteht aus ca. 300 Sauen mit dänischen Zuchtlinien, die im 35-Tages-Rhythmus in Partien von Ebern der Talent-Linie besamt werden. Die Ferkel werden im Alter von 26 Tagen mit einem Durchschnittsgewicht von ca. 6 kg abgesetzt. Im Durchschnitt werden 14,3 Ferkel pro Wurf lebend geboren und 12,3 abgesetzt, wobei die Sterblichkeitsrate vor dem Absetzen bei 13,9 % liegt. Zu den Haupttodesursachen gehören das niedrige Geburtsgewicht einiger Ferkel, sporadische Darmprobleme und Streptokokken. 25 % der Ferkel werden bis zum Erreichen eines Gewichts von 30 kg im Sauenbetrieb gehalten und 75 % werden nach dem Absetzen in den Aufzuchtstall gebracht.

Viermal pro Jahr werden Jungsauen aufgenommen, die aus einem PRRSv-negativen Betrieb mit gutem Gesundheitsstatus kommen, einem GP-Nukleusbetrieb, der demselben Erzeuger gehört.

Nach der Aufnahme in den Mastbetrieb werden sie 90 Tage lang in einem Quarantänestall untergebracht, in dem sie geimpft und akklimatisiert werden.

Der Impfplan für die Zuchttiere beinhaltet eine Immunisierung gegen die Aujeszkysche Krankheit, PRRSV, Influenza, PCV2, Mykoplasmen, E. coli, Clostridien, atrophische Rhinitis, Pleuropneumonie, die Glässersche Krankheit, Rotlauf und Parvovirus. Die Ferkel werden im Alter von 21 Tagen gegen PRRSv, PCV2 und Mykoplasmen geimpft.

Zur Überwachung werden die Verarbeitungsflüssigkeiten (Hoden) jeder Partie mittels RT-PCR auf PRRSv untersucht, wobei der Betrieb nicht stabil ist.

Die Sauen werden zur Östrusstimulation und zur Besamung in Kastenständen untergebracht, gefolgt von einer Phase, in der sie sich körperlich erholen können. Anschließend werden sie in die Buchten des Wartestalls verlegt, in denen sich jeweils 6 bis 12 Tiere befinden. Um Konflikte innerhalb der Gruppe zu vermeiden, werden sie nur einmal am Tag gefüttert.

Die Abferkelställe sind traditionell gestaltet: Sie bestehen aus Einzelbuchten mit Kastenständen, in denen die Sauen während der gesamten Laktationszeit untergebracht sind, ferkelgerechtem Spaltenboden und festem Boden im Nestbereich. Die Temperatur im Stall wird auf etwa 24 Grad Celsius gehalten, während das Ferkelnest in den ersten 10 Lebenstagen der Ferkel mit Infrarotlampen auf 29 Grad erwärmt wird. Zwischen dem 3. und 5. Tag werden die Ferkel mit Eisen und Toltrazuril behandelt; gleichzeitig werden die Schwänze kupiert und die Ferkel kastriert. Die Sauen werden fünf Tage vor dem Abferkeln in den Abferkelstall gebracht, wo sie dreimal täglich gefüttert werden und reichlich Wasser zur Verfügung haben.

Fütterung

Der Hersteller verfügt über ein Futtermittelwerk, in dem das Futter nach Zukauf von Rohstoffen und einer Vitamin-Mineral-Vormischung hergestellt wird.

Die Rohstoffe werden auf die häufigsten Nährstoffe und Mykotoxine untersucht. Neben Mineralstoffzusätzen enthält die Vormischung eine ordentliche Menge an Vitamin B, Vitamin E (110 mg) und Polyphenolen mit antioxidativer Funktion.

Die Spurenelemente werden teilweise in organischer Form zugeführt und die Werte des leberschützenden Cholin und Betain sind recht hoch.

Das Futter besteht überwiegend aus Mais und Sojabohnen, enthält aber auch einen hohen Anteil an Gerste und Pülpe, um auch dank des hohen Anteils an grober Kleie einen hohen Anteil an funktionellen Ballaststoffen zu erreichen. Solch ein spezielles Futter kommt insbesondere in der Vormastphase zum Einsatz.

Für die Sauen gibt es drei verschiedene Futterarten: Futter während der Laktation, in der Tragzeit und vor dem Abferkeln.

Zusammensetzung/Analyse

Art des Futters: Tragzeit
Inhaltsstoffe Menge %
Mais 30,00
Sojaschrot (48% RP) 10,00
Kleie 26,00
Gerste 20,00
Sojaöl 1,00
Reiskleie 5,00
Pülpe 3,00
Vormischung 5,00
Gesamt 100,00
Analytische Merkmale
Rohprotein 13,80%
Rohfett 4,50%
Rohfaser 6,10%
Asche 6,10%
Verdauliche Energie 2.995
Calcium 0,90%
Phosphor 0,70%
Gesamtlysin 0,65%
Art des Futters: Laktation plus
Inhaltsstoffe Menge %
Mais 30,00
Sojaschrot (48% RP) 18,00
Kleie 15,00
Gerste 15,00
Sojaöl 1,50
Pülpe 3,00
Energiereiche Vormischung 8,00
Schmalz 1,50
Reiskleie 3,00
Vormischung 5,00
Gesamt 100,00
Analytische Merkmale
Rohprotein 16,20%
Rohfett 6,50%
Rohfaser 4,80%
Asche 5,90%
Verdauliche Energie 3.290
Calcium 0,95%
Phosphor 0,70%
Gesamtlysin 1,00%
Art des Futters: Leichtes Sauenfutter vor dem Abferkeln
Inhaltsstoffe Menge %
Mais 16,00
Sojaschrot (48% RP) 7,00
Kleie 22,50
Gerste 34,00
Energiereiche Vormischung 7,00
Pülpe 9,00
Sojaöl 0,50
Vormischung 4,00
Gesamt 100,00
Analytische Merkmale
Rohprotein 13,10%
Rohfett 3,60%
Rohfaser 6,20%
Asche 5,30%
Verdauliche Energie 2.985
Calcium 0,80%
Phosphor 0,60%
Gesamtlysin 0,75%

Beschreibung des Problems

Im März 2021 gab es eine hohe Inzidenz schwerer Lahmheit bei 12 bis 17 Tage alten Ferkeln (ca. 20 % der Tiere), die vor allem den distalen Teil der Gliedmaßen betraf und zu schweren Ödemen des Kronsaums und der Sohle führte, die sich in einigen Fällen auf den gesamten Huf ausdehnten. Die betroffenen Tiere wurden mit Antibiotika (Amoxicillin) und Chlortetracyclin-Spray behandelt, was zu einer guten Reaktion und zum Rückgang der Infektion führte. In einigen Fällen war das Gewebe jedoch so stark geschädigt, dass dies zum Verlust des Hufs führte.

Abbildung 1: Entzündung des Kronsaums

 

Abbildung 1: Entzündung des Kronsaums

 

Abbildung 2: Läsion an der Sohle eines 15 Tage alten Ferkels

Abbildung 2: Läsion an der Sohle eines 15 Tage alten Ferkels

Abbildung 3: Klauenverlust bei einem 15 Tage alten Ferkel

Abbildung 3: Klauenverlust bei einem 15 Tage alten Ferkel

Die erste diagnostische Hypothese bezog sich auf mechanische und umweltbedingte Ursachen, wobei man davon ausging, dass Wunden auftraten, deren Heilung durch Krankheitserreger erschwert wurde. Die Tiere wurden dann auf weitere Anzeichen hin überwacht. Gleichzeitig wurde die Verwendung von Trockenmittel während des Abferkelns eingeführt.

Als man die Überwachungen in den folgenden Partien verstärkte, wurden bei neugeborenen Ferkeln unabhängig voneinander entzündliche und nekrotische Läsionen festgestellt, die den Hufballen und den Kronsaum sowie in einigen Fällen den Nabel, den Schwanz und die Brustwarzen betrafen.

Die Reihe von Läsionen, die ebenfalls sehr früh auftraten, veranlasste uns, eine primäre mechanische Ursache direkt auszuschließen und einen endogenen Ursprung zu vermuten.
Daher kam der Verdacht auf, dass es sich um einen Fall des kürzlich identifizierten Entzündungs- und Nekrosesyndroms (SINS) handelt.

Beschreibung des Syndroms

SINS (Swine Inflammation and Necrosis Syndrome, beschrieben von G. Reiner et al., 2021) ist ein Syndrom, das durch Entzündungen und Nekrosen, insbesondere der peripheren Gewebe, als Folge von Mikrozirkulationsläsionen (Hyperämie und/oder Vasokonstriktion, Ödeme, Thromben, Proliferation der Tunica intima, Infiltration von Granulozyten und Makrophagen) gekennzeichnet ist.

Das Syndrom wird durch die Aktivierung des Immunsystems und der Entzündungskaskade sowie durch zahlreiche begleitende Ursachen ausgelöst, die von umweltbedingten (Thermoregulation) und psychologischen (Konkurrenz) Stresssituationen, der Qualität von Futter, Wasser und Luft bis hin zu Infektionen reichen. All dies kann mit der Freisetzung verschiedener entzündungsfördernder Moleküle (Endotoxine, Mykotoxine, Lipopolysaccharide, Mikroben-assoziierte molekulare Muster - MAMPs) sowohl aus dem Organismus als auch aus der Darmmikrobiota in den Blutkreislauf einhergehen, was der Fall ist, wenn diese Moleküle die Darmbarriere überwinden und die Entgiftungskapazität der Leber überlasten können.

Die Läsionen beeinträchtigen das Tierwohl und das Syndrom wurde mit der Qualität der Sau in Verbindung gebracht. Anzeichen von SINS können auch beim Absetzen und bei der Endmast beobachtet werden (Reiner et al., 2020).

Die genetische Veranlagung wird als einer der prädisponierenden Faktoren für die Anfälligkeit für dieses Syndrom untersucht (Reiner et al., 2021).

Anschließende Untersuchung

1. Drei Tage alte Ferkel aus 29 Würfen wurden unter Bezugnahme auf die von G. Reiner et al. vorgelegte klinische Studie untersucht, um die Prävalenz von Läsionen zu ermitteln (Reiner et al., 2019).

Von den 403 bewerteten Ferkeln (ohne dabei den spezifischen Grad zu beurteilen) wiesen alle Tiere Läsionen auf, die an einer oder gleichzeitig an mehreren Stellen zu finden waren:

  • 399 (99,1 %) am Hufballen und am Kronsaum
  • 250 (62,03%) auf den Wangen
  • 50 (12,41 %) am Ohransatz
  • 17 (4,22%) am Schwanz
  • 255 (63,28%) am Nabel
  • 44 (10,92%) an den Brustwarzen
Abbildung 4: Läsionen an Nabel und Brustwarzen

Abbildung 4: Läsionen an Nabel und Brustwarzen

Abbildung 5: Läsionen am Ohransatz

 

Abbildung 5: Läsionen am Ohransatz

 

Abbildung 6: Fußläsionen (Hufballen und Kronsaum) im Alter von 4 Tagen

Abbildung 6: Fußläsionen (Hufballen und Kronsaum) im Alter von 4 Tagen

Abbildung 7: Läsionen am Schwanz

Abbildung 7: Läsionen am Schwanz

2. Die Gewebeproben wurden an die Universität Turin geschickt, um zu überprüfen, ob die Läsionen histologisch mit den in der Literatur beschriebenen Bildern übereinstimmten (Kuehling et al. 2020).

Abbildung 8: Nabel: Lokal ausgedehnter Hautbereich, der Fibroplasie mit aktivierten Fibroblasten und zahlreichen unreifen kleinen Gefäßen (neu gebildetes Granulationsgewebe) sowie multifokales entzündliches Infiltrat mit überwiegend lymphoplasmazellulären Zellen aufweist. In einigen Gefäßstrukturen findet sich ein granulozytäres entzündliches Infiltrat, das die Gefäßwand umgibt und fokal infiltriert (leukozytoklastische Vaskulitis).

Abbildung 8: Nabel: Lokal ausgedehnter Hautbereich, der Fibroplasie mit aktivierten Fibroblasten und zahlreichen unreifen kleinen Gefäßen (neu gebildetes Granulationsgewebe) sowie multifokales entzündliches Infiltrat mit überwiegend lymphoplasmazellulären Zellen aufweist. In einigen Gefäßstrukturen findet sich ein granulozytäres entzündliches Infiltrat, das die Gefäßwand umgibt und fokal infiltriert (leukozytoklastische Vaskulitis).

Abbildung 9: Haut: Fokale Epithelerosion, bei der die oberste Schicht durch reichlich amorphes bis granuläres eosinophiles Material mit karyorrhektischer Debris (Nekrose) und reichlich degenerierte, lebensfähige neutrophile Granulozyten ersetzt wurde. Multifokal erscheint das Epithel mäßig bis ausgeprägt hyperplastisch mit mäßiger bis schwerer orthokeratotischer Hyperkeratose. Multifokal ist auch eine Krustenbildung zu beobachten. Die Dermis erscheint diffus und mäßig fibrotisch.

Abbildung 9: Haut: Fokale Epithelerosion, bei der die oberste Schicht durch reichlich amorphes bis granuläres eosinophiles Material mit karyorrhektischer Debris (Nekrose) und reichlich degenerierte, lebensfähige neutrophile Granulozyten ersetzt wurde. Multifokal erscheint das Epithel mäßig bis ausgeprägt hyperplastisch mit mäßiger bis schwerer orthokeratotischer Hyperkeratose. Multifokal ist auch eine Krustenbildung zu beobachten. Die Dermis erscheint diffus und mäßig fibrotisch.

3. Es wurden Futtermittelkontrollen durchgeführt, die aber keine signifikanten Abweichungen bei den Nährstoffparametern ergaben. Die Mykotoxinüberwachung ergab sehr niedrige Werte. Nur die Mutterkornalkaloide wiesen Werte auf, die möglicherweise von Bedeutung sind. Es wurden seltsam hohe Werte an Phytoöstrogenen festgestellt, deren Ursprung und Bedeutung allerdings noch zu klären sind.

Abbildung 10: Mykotoxintest

Abbildung 10: Mykotoxintest

4. Koprostase wurde bei Sauen im Abferkel- und im Wartestall beobachtet.

5. Bei säugenden Sauen wurden sporadisch Hautveränderungen und Ödeme im Brustbereich festgestellt.

Abbildung 11: Mammaläsion bei einer laktierenden Sau

Abbildung 11: Mammaläsion bei einer laktierenden Sau

Abhilfemaßnahmen

  • Dem Futter wurde ein Breitbandzusatzstoff auf der Basis von Komplexbildnern und Enzymen beigemischt.
  • Der Ballaststoffgehalt wurde leicht erhöht und vor allem die Struktur verändert, indem die Kleie durch grobe Kleie ersetzt wurde.
  • Für das Trinkwasser wurde ein Desinfektionssystem mit Peroxid eingeführt.
  • In der Tragzeit wurde täglich Stroh (100 g pro Tier und Tag) zur Verfügung gestellt.

Schlussfolgerungen

Angesichts der festgestellten Faktoren:

  • Vorhandensein klinischer Läsionen und histologisches Bild
  • Mammaläsionen und Koprostase bei Sauen

hat sich der Verdacht auf das Entzündungs- und Nekrosesyndrom (SINS) bestätigt.

Die Wirksamkeit der ergriffenen Gegenmaßnahmen wird in den kommenden Monaten bewertet werden.

Danksagungen

  • Vielen Dank an Dr. Raffaella Demaria als Vertreterin der Universität Turin, Fachbereich Veterinärwissenschaften.
  • Wir bedanken uns bei der Firma Allevamenti 1910 Andorno für die ständige Zusammenarbeit.
  • Und vielen Dank an Dr. Ettore Bosco für seine Feldüberwachung.

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